5 Auswertung

 

Obwohl die Wurzeln der Fernsehserie Monty Python’s Flying Circus von der Music-Hall, über die Variety, den Slapstick, die Goon Show, die Universitätstheater der Oxbridge Scene und die britische TV-Comedy und damit in allen einschlägigen Medien zu suchen sind, wird jede dieser Rezeptionen mit TV-Eigenschaften verbunden oder durchsetzt.

Aufgewachsen in einer den altenglischen Sitten, Moral- und Idealvorstellungen verhafteten Umwelt deckte sich ihre persönliche Sturm- und Drangzeit mit dem Aufkommen eines zunehmend kritischen Bewußtseins in großen Teilen der Bevölkerung, welches sich in allen kulturellen Bereichen niederschlug.

Die Kunst als Reflektor und Sprachrohr der Kultur spiegelt diese Veränderungen nicht zeitgleich wieder, sondern ist ihrer Zeit immer ein Stückchen voraus. So waren die zornigen jungen Männer die ersten, die ihren Unmut so drastisch ausdrückten, bevor die jugendliche Protesthaltung zum flächendeckenden Phänomen wurde.

Monty Python entwickelten in der gleichen visionären Weise eine Kritik, die sich auf die Darstellung des Menschen und seiner Umwelt im Medium Fernsehen spezialisiert hatte.

Ihre ganz individuelle Protestform hatte sich aus den einzelnen Künstlerkarrieren heraus entwickelt: Es war die Suche nach neuen Darstellungsformen, die diese kritische Haltung erst generierte. Einerseits sind keine anderen rebellische Attitüden bekannt, andererseits entwickelten sich die ‘Pythons’ in erster Linie als Profi-Komödianten.

Nichtsdestotrotz ist ihre Auseinandersetzung mit dem Fernsehen vernichtend:

Bis in die kleinste inhaltliche, strukturelle und formale Einheit reicht die Demontage eines Mediums, das sich gerade erst anschickte, seinen Siegeszug anzutreten.

Wir haben die verschiedenen Sketchthemen kennengelernt und gesehen, daß selbst klassische, stereotype Themen innovativ verfremdet und verkehrt wurden und somit nahtlos in eine weiterentwickelte, dadaistische Form der Farce übergingen. Das trifft auch auf die häufigsten Sketcharten, die Parodie und die Satire, zu. Neben der konkreten parodistischen und satirischen Auseinandersetzung mit dem Fernsehen, sind insbesondere der Film, und auch das Theater, Zielscheibe des Spotts. Im Verlauf der Serie vermischen sich die diversen medialen Rezeptionen zusehends und sind immer schwerer auseinanderzuhalten.

Sind v.a. in der ersten Staffel noch isolierte ‘klassische’ Sketche anzutreffen, so entfaltet sich vor unseren Augen und Ohren zusehends ein Konglomerat unterschiedlichster Kombinationen verschiedenster Medien, Sparten und Genres. Dabei sind die Übergänge, sowohl der von einer typischen Sketch-Show hin zu einer multi-medialen, simulierten Anarchie, als auch der vom einfachen Sketch zum montierten Medienereignis als fließende zu betrachten.

Fließend auch deshalb, weil die Struktur sich, gemäß des "stream of consciousness", als Strom aneinandergereihter Ideen ausweist. Die Simulation der Bildmischung im TV-Studio durch eine phantasievolle und detaillierte filmische Montage, eine Form der Videoclip-Ästhetik produzierend, stellt dabei den technischen Hintergund. Die zahlreiche Verwendung stereotyper Motive, repräsentiert durch die Themen und Charaktere im Verein mit den neu geschaffenen Kunstfiguren, einer hochentwickelten, bis ins experimentelle reichenden Rhetorik und einer nuancenreichen und darstellerisch ausgefeilten Körpersprache stellten die abwechslungsreichen Inhalte. Der Verkehrung und Verfremdung, sprich der grotesken Darstellung, der Fernsehwelt bzw. der Welt, wie sie sich im Medium darstellt, kommen dabei Schlüsselrollen zu. Bei Monty Python sind, wie an vielen Beispielen deutlich wurde, oft einfach nur die normalen Verhältnisse auf den Kopf gestellt. Der V-Effekt allerdings verlangt eine kurze, eingehendere Betrachtung:

Kristin Thompson konstatiert bei (John O.) Thompson(212), daß "the Monty Python (...) television series (...) take the separation of coded elements to an even more extreme degree", als dies Godard getan habe, von dem sie MP stark beeinflußt sieht. Darauf aufbauend stellt sie sich die Frage, ob MP wegen seiner stark verfremdenden Inhalte Brechtianisch sei. Sie kommt aber zu dem Schluß daß von einer Rückkehr aus der Verfremdung, die Brecht zur Bedingung machte, keine Rede sein könne, da die Verweigerung dieser Rückkehr die Welt im Grotesken belasse und somit als unveränderbar, also hoffnungslos hinstelle. Ähnlich hätte es sich mit den Dadaisten und Surrealisten der zehner und zwanziger Jahre verhalten, die ebenfalls bei der Unterhaltung, die Brecht als Katalysator verstand, stehengeblieben seien.(213) Tatsächlich korrespondiert diese These mit der ‘inneren Immigration’ in die eigene Kunst, auf die sich das Rebellische der Pythonschen Performance konzentrierte und meines Wissens auch beschränkte.

Des weiteren führt sie am selben Ort aus, daß die fortgeschrittene Auflösung ("separation") durch "mixing interviews, broadcasts, and parodies of all sort of genres from popular narrative media" entstanden sei. Eine "smashing language" sei aber noch kein progressives Manöver per se. Godard hätte zwar durch die Auflösung bzw. Loslösung der einzelnen filmischen Elemente ein heilsbringendes Überdenken ("salutary rethinking") beim Zuschauer ausgelöst und somit Kritik vorgetragen, sei aber nicht bei der absurdistischen Verurteilung stehengeblieben.

Tatsächlich zeigt MP keine neuen Wege, beispielsweise was die Verbesserung der Qualität des Programms angeht, auf. Das Fernsehen wurde ‘nur’ in seine Einzelteile zerlegt, grotesk modifiziert und wieder neu zusammengebaut. Dies wurde durch die Identifizierung der fernsehimmanenten Elemente, wie der Serialität und der Verwendung programmspezifischer Struktierungen, wie der Simulation aller einschlägigen Programmsegmente und -verbindungen deutlich. Dabei fällt die analytische Herangehensweise auf, die deutlich macht, daß es sich hier um eine Insider-Kritik handelt.

Als Fernsehmacher rezipierten die ‘Pythons’ das Medium also von innen heraus. Viele der Demontagen betreffen technische, strukturierende und programmpolitische Aspekte, die vom Durchschnittskonsumenten nicht unbedingt wahrgenommen werden.

"We were acutely conscious that it was a television show, and we were also aware that the best parodies of television are done on television, and the best parodies of the theatre are done in the theatre...One of the loveliest thing that people used to say to us was that once the show came off the air and the next thing came on, which was a regional magazine Programm, it was impossible to watch it without finding it terribly funny"(214), erinnert sich Cleese und macht damit deutlich, daß MP durch die Offenlegung der Innenansichten des Fernsehens vielen Menschen die fernsehinternen und -funktionalen Elemente erst bewußt gemacht hatte. Einer dieser Rezipienten war Kevin Cote, der in einer Fernsehkritik zum Start der zum ersten Mal deutsch synchronisierten Folgen am 15.1.1998 in Sat.1, einerseits bestätigt, daß es "nach dem Genuß einer wöchentlichen Folge nicht mehr möglich war, das folgende Programm noch ernst zu nehmen", andererseits aber glaubt, daß gerade weil heutzutage "die Grenzen zwischen Unterhaltung, Werbung und Nachrichten kaum noch erkennbar sind"(215) viele Aspekte ihre Wirkung verloren hätten.

Zweifelsohne hat das Fernsehen an Glaubwürdigkeit verloren, wie Winkler feststellte, und man nimmt das Fernsehen schon von vorne herein nicht mehr ernst. Dennoch bin ich zu der Erkenntnis gelangt, daß die Pythonsche ‘Medienschelte’ aktueller denn je ist:

Die ‘TV-Vision’ von einem durch Banalitäten und Pseudo-Realitäten gekennzeichneten Programm, dessen Elemente mehr und mehr ineinander übergehen, indem Programmverbindungen zu Programmsegmenten und umgekehrt mutieren, wo die Form das Bewußtsein bestimmt und wo die Einstellungslänge drastisch reduziert wird, die Schnittfolge ständig steigende Frequenzen aufweist, ist Fernsehrealität und -alltag geworden.

Darüberhinaus hat sich die "Mediatisierung der Kultur", die das Fernsehen damals schon betrieb, bis zum heutigen Tag noch einige Schritte weiterentwickelt:(216) "Künstlerische Produktion ohne impliziten oder expliziten Bezug auf die Medien, ist heute nicht mehr denkbar, selbst als grundsätzliche Negation ist sie noch auf die Medienkultur bezogen", stellt Hickethier in Bezug auf den Anachronismus eines "kulturellen Wächters am Bildschirm", für den sich viele Fernsehkritiker immer noch halten würden, fest.

John Cleese’ oben zitierte Äußerung, Theaterparodien würden am besten im Theater funktionieren, zeigt in dieselbe Richtung:

Monty Python hat nicht versucht, die anderen rezipierten Medien in ihrer Eigenschaft als Medium zu parodieren, sondern deren Mediatisierung. Weder der Autor oder gar der theaterschaffende Shakespeare, noch seine Stücke oder deren Inszenierung sind Ziel der Parodie, sondern die Art der Reflektion eines bedeutenden Kulturgutes in einer neuen Medienkultur.

Die Verzerrung der rezipierten Kultur wird von MP mustergültig und so ins extreme gesteigert vorgeführt, daß zugleich die potentielle Manipulation, ohne die "das Fernsehen gar nicht machbar"(217) wäre, offensichtlich wird. Der Dokumentarfilmer Helmut Greulich stellte dies bezüglich einer strukturellen Manipulation fest, die sich in den Pythonschen Folgen durch die montierte Simulation der MAZ-Mischung und auch die ‘Struktur-Parodien’ auf eine filmische narrative Montage widerspiegelt.

Der Zwang zur Manipulation, also zur Montage beim Dokumentarfilm oder zur Mischung bei Studiosendungen, ergibt sich aus dem akuten Zeitmangel und der Masse des verfügbaren Materials, mit dem der Fernsehkommunikator zu kämpfen hat. Es wurde schon oben festgestellt, daß eine Montage (bzw. eine Mischung) nicht zwangsläufig die Realität entstellt (Abschn. 4.2.2). Sie kann die Darstellung auch optimieren. Eine Mise en Scène, vormals als die realitätstreuere Inszenierungsform eingeschätzt, kann durch entsprechende Kamerafahrten manipulativ eingesetzt werden, indem z.B. die Kamera von entscheidenden Tatsachen wegschwenkt.

Ein schönes Beispiel hierfür ist der Schwenk von den Brainsamples zu Potter in der Einstellung I.3b des protokollierten "’Science Fiction Sketch’" (7) (Tab.10), der von den Hauptfiguren zu einer Nebenfigur ablenkt:(218)
American Voice (Cleese): "(...) So let’s forget about them and follow instead the destiny of this man." Die Folgen dieser Manipulation sind verheerend und wären zu verhindern gewesen: (219)
Mr. Brainsample
(Chapman): "(...) We tried to tell you at the beginning of the film but you just panned us off."

Als Insider waren sich die ‘Pythons’ also dem Manipulationszwang und dessen Folgen voll bewußt. Auch der Probleme einer aktiven, gewollten Manipulation im Sinne einer Desinformation waren sie wohl gewahr(220), weshalb die in Szene gesetzte Wirklichkeitsverzerrung nie auf dieser Absicht aufbaut, sondern immer auf der Prämisse ruht, die Fernsehemacher versuchten, Realität darzustellen und verzerrten nur aus Unvermögen.

Interessanterweise fordert Greulich als Ausgleich für das Phänomen des Manipulationszwangs bei gleichzeitiger Scheinrealität, der der Zuschauer nur zu gern erliege, die Vermittlung von Kenntnissen über die "handwerklichen und strukturellen Zwänge", unter denen die Sendungen entstünden, um auf diese Weise den Schein von Objektivität und ungestellter Realität, die sich durch die Bilder vermittle, abzubauen.(221)

Insofern könnte MP als Musterbeispiel einer medialen Aufklärung angesehen werden, einer äußerst rezeptionsfreundlichen obendrein.

Die sechs Komiker gewähren durch ihr Werk nicht nur Einblick in die Fernsehproduktion, -struktur und die auferlegten Sachzwänge, also in die zusammenhaltlichen Bedingungen, sondern auch in die inhaltlichen Aspekte eines gefährlichen Pseudo-Anspruches, der bereits mehrfach angesprochen wurde. Postman hat wahrscheinlich am eindringlichsten und ausführlichsten diese Gefahr aufgezeigt, die nicht in der Produktion des "dummen Zeugs" liege, sondern in der Vorgabe, "Vermittler bedeutsamer, kultureller Botschaften" zu sein. Dies könne das Fernsehen gar nicht leisten, weil das Visuelle dominiere und selbst qualitativ hochwertige Informationen von ihm überlagert würden.(222)

Postman wies in seinem Klassiker mit einigem Erfolg nach, daß Aldous Huxley’s Vision einer ‘schönen, neuen Welt’ in den USA nahezu erreicht sei(223), wenn "das kulturelle Leben neu bestimmt wird als eine endlose Reihe von Unterhaltungsveranstaltungen, als gigantischer Amüsierbetrieb, wenn der öffentliche Diskurs zum unterschiedslosen Geplapper wird, kurz, wenn aus Bürgern Zuschauer werden und ihre öffentlichen Angelegenheiten zu Varieté-Nummern verkommen".(224)

Zu guter letzt möchte ich noch einen weiteren visionären Aspekt erwähnen, der höchst wahrscheinlich nicht beabsichtigt war, aber der im Verlaufe der Arbeit für mich immer augenscheinlicher wurde:

Die ‘Pythons’ kritisierten, destruierten und demontierten das Fernsehprogramm an sich. Dabei ergaben die neu gemischten und wieder zusammengefügten Einzelteile überraschende neuartige Sinnheiten.

Dasselbe Prinzip kann jeder zuhause mit der Fernbedienung anwenden!

Die eben genannten Eigenschaften lesen sich einerseits wie eine extrem gekürzte Fassung meiner Ergebnisse, sind aber zugleich alle von Hartmut Winkler aufgestellten Eigenschaften des Switchings, das er ein Verfahren gegen den Kontext nennt:(225)

"Die switchenden Zuschauer zerfleddern die Sinneinheiten, die das Fernsehen bietet, in eine Unzahl kürzerer bis sekunden-kurzer Sequenzen, die, ihrem Kontext entrissen, ihre Bedeutung vollkommen verändern." Und weiter unten: "Hintereinandergeschaltete Bilder kommentieren sich gegenseitig; schon sehr früh hat die Montagetheorie darauf hingewiesen, daß Bedeutungseffekte zwischen aneinander montierten Sequenzen sich auch dann ergeben, wenn die Montage willkürlich ist (...)."

Switching (oder Zapping) sei auch ein kritischer Eingriff ins Programm, es wäre viel verlangt vom Rezipienten, einfach nur in seinem Sessel dem Angebot ausgeliefert zu sein.(226)

Tatsächlich scheint mir das Zapping das Sixteen-tons-weight des ‘Fern-Sehers’ zu sein, das er aus der Entfernung jederzeit auf Harald Schmidt, Helmut Kohl oder Lilo Wanders herabsausen lassen kann...


 
zum Anfang der Seite
zum Inhalt
zur Literatur