"Die Filme einer Nation reflektieren ihre Mentalität unvermittelter als andere künstlerische Medien (...)", stellt schon Kracauer fest und begründet dies einerseits mit dem Kollektivcharakter eines Films, andererseits würden herrschende Massenbedürfnisse befriedigt, weil zumindest im Falle populärer Filme auch heimische, populäre Motive verwendet werden.(35)
Tatsächlich treffen diese Charakteristika in vollem Umfang auf MP zu: Die fünf Briten, vier Engländer und ein Waliser (Terry Jones), brachten fünf verschiedene Charaktere mit ein. Auf diesem Grundstock konnten alle anderen erforderlichen, fiktiven Charaktere aufgebaut werden bis hin zu den britischen Interpretationen anderer Völker, wie den Australiern, Amerikanern, Deutschen oder Franzosen (s. Abschn. 3.2), die, teilweise in klischeehafter Weise dargestellt, eben jene populären Motive bedienten.
Der amerikanische Anteil, von Terry Gilliam eingebracht, wäre in seinen Animationen zu suchen, wobei es allerdings schwerfallen dürfte, ihnen etwas typisch amerikanisches nachzuweisen (s.u.). Jedenfalls fallen sie nicht in diesem Sinne auf, sie fügen sich nahtlos in die britische Performance, ohne daß diese dadurch an nationaler Identität verloren hätte.
Wie bedeutend das Zusammenwirken verschiedener (realer) Charaktere für eine mentalitätsspezifische Ausprägung, auch und gerade bei MP, ist, zeigt sich durch die Darstellung der Pepperpots (s. Abschn. 3.1.2), die nämlich und davon ist Terry Jones überzeugt, von den bestimmten weiblichenen Charakterzügen, die jeder in sich trage, individuell geprägt seien.(36) Das hieße, die Schauspieler brächten nicht nur offen zutage tretende (beispielsweise männliche) Eigenschaften des sie umgebenden Kulturkreises in die Darstellung mit ein, sondern auch verborgene (beispielsweise weibliche).
Tatsächlich gleichen sich die vom walisischen Terry Jones gespielten weiblichen Charaktere und unterscheiden sich z.B. stark von denen, die von John Cleese gespielt werden. Die ‘Jones-Pepperpots’ sind oft sehr schrullig, runzelig, von Gram gebeugt und vom Schicksal geschlagen.
John Cleese wiederum ist ein Engländer, wie er im Buche steht, nicht nur durch sein Äußeres(37), sondern auch durch seine typisch englische Distinguiertheit. Nichts banaleres als seine Erziehung(38) prädestinierte ihn zur Darstellung des steifen Engländers (Welcher amerikanische oder deutsche Schauspieler könnte die entsprechenden Attitüden so überzeugend auf die ‘Bühne’ bringen?). ‘Seine’ Pepperpots sind dementsprechend eher Wallküren, deren Handtäschchen ganz verloren an der Seite baumeln.
Die transvestitischen Elemente verweisen auch auf die Tradition des Variety, das nach dem Ersten Weltkrieg die Music-Hall Veranstaltungen ablöste und mit dem Aufkommen des Fernsehens und der modernen Unterhaltungsindustrie ebenfalls abgelöst wurde: "Variety humour grew out of the British character in it’s various regional manifestations, it will always be part and parcel of British comedy." Diese Tradition wird nach Wilmut in allen heutigen Fernseh- und Theaterkomödien weitergeführt, etwas schwächer im Radio und im Film, und ist, nicht nur auf dem Wege der direkten Rezeption, sondern auch über viele indirekte Wege zu jenen modernen Entertainern gelangt. Selbst alte Witze könnten für die neuen Generationen immer wieder neu aufgelegt werden, wenn sie lange genug ‘gelegen’ hätten.(39)
Eine eindeutige Pythonsche Rezeption dieser Zeit ist der "The Ministry of Silly Walks"-Sketch (14) (s. Abschn. 3.4.2), wobei weder hier noch an anderer Stelle plagiert wird, es handelt sich immer um Stil-Rezeptionen, teilweise Hommagen, wie auch im Falle der (amerikanischen) Stummfilmverweise: "Queen Victoria" (2), "Changing on the Beach" und "Up Your Pavement" (42) (s. Abschn. 3.1.3.2 u. 4.1.2) sind Beispiele außerbritischer Rezeptionen, wobei man allerdings nicht vergessen darf, daß gerade Stummfilm-Komödianten wie Charlie Chaplin und Stan Laurel ihr Handwerk in der Music Hall erlernt hatten und es nach dem Ersten Weltkrieg mit in die Hollywood-Studios brachten.(40)
Darüber hinaus könnten noch weitere außerbritische Rezeptionen identifiziert werden, wie z.B. die Film-Parodien verschiedenster Genre (s.a. Abschn. 3.1.3). Hier soll zunächst einmal darauf hingewiesen werden, daß die Präsentation immer ‘very British’ bleibt, denn Monty Python sieht die Welt ganz offensichtlich mit ‘britischen’ Augen, d.h. eher sogar englischen, vielleicht auch walisischen. Die Schotten werden ausgegrenzt, über sie werden genauso Witze gemacht wie z.B. über die Australier(41), wodurch MP die Lage ihres Kulturkreises indirekt einschränkt.
Das ‘Englische’ an der Serie läßt sich an den Traditionen festmachen, die auch bei den genannten Vorläufern identifiziert werden können: Von der Music-Hall der Jahrhundertwende bzw. der Variety ab 1919 kann also eine direkte Verbindung über die Goon-Show zum Cambridge Circus und von da zu MP gezogen werden.(42) Klassische, englische Themen, wie Shakespeare, Scotland Yard und der Tod in allen Spielarten sind die Verbindungslinien. Im Abschnitt 3.1 über die Themen werden diese noch zur Sprache kommen. Zum Thema Tod hier nur soviel: Er bildet den Grundstein für den berühmten ‘schwarzen Humor’ und findet breite Verwendung bei MP.(43) Sein Ursprung liegt wohl in einem relativ tabu-freien Umgang mit dem Tod begründet, wie z.B. eine Anekdote bei Staveacre zeigt: Der Maurer Alex Mitchell lachte sich 1977 beim Betrachten der Goodies, einer TV-Comedy-Show im Fernsehen, zu Tode, woraufhin seine Frau einen Dankesbrief an die Goodies sandte, weil ihr Mann die letzten Minuten seines Lebens so fröhlich war!(44) Cleese äußerte sich 1991, zwei Jahre nach Chapmans Ableben, ähnlich aufgeschlossen: "Was ist denn schon so schlimm daran, wenn man stirbt. Immerhin sind die meisten hervorragenden Leute tot."(45)
Der englische Humor spiegelt auch die englische Distinguiertheit,
die den Hintergrund für das beliebte Mittel der Untertreibung, des Understatements
gibt. Damit einher geht die Trockenheit und Sachlichkeit englischer ‘Gentlemen’,
die im "Stolen Newsreader"-Sketch (3), in welchem der Nachrichtensprecher,
obwohl er samt Tisch entführt wird, seinen Text zu Ende liest und die Nachrichten
genau zu dem Zeitpunkt abschließt, als er ins Wasser geworfen wird, exemplarisch
parodiert wird.
|
|
|