Die 45 Folgen der vier Staffeln der BBC-Fernsehserie "Monty Python’s Flying Circus"(46) entstanden in den Jahren 1969 bis 1974. Produziert von Ian McNaughton, gespielt, gestaltet und geschrieben von Graham Chapman, John Cleese, Eric Idle, Terry Jones, Michael Palin und Terry Gilliam, wobei zuletzt genannter für die Animationen zeichnete, erreichte sie in Großbrittanien von der ersten Staffel an jenen Status, den man gemeinhin als ‘Kult’ bezeichnet.
Auseinandersetzungen mit der BBC(47), die sich v.a. um die Inhalte drehten, mögen diesen Prozess beschleunigt haben. Allein die große Beliebtheit bewahrte die sechs Writer-Performer vor einer frühzeitigen Absetzung der Show. Allerdings wurde die Show auf einen späteren Programmplatz gelegt und die Ausstrahlungen in manchen Regionen des öfteren durch Sondersendungen verzögert. Andererseits übertrug die BBC am 16.4.1971 einen Auftritt der Truppe in Montreux live.(48)
Nachdem im Sommer 1969 schon fünf Folgen abgedreht worden waren, wurde am 5.10. die erste Folge übertragen. Diese Vorausproduktion und die grundsätzlich lockere Struktur der Serie erlaubte eine Umstellung der einzelnen ‘Shows’ innerhalb ihrer Staffel. Die dritte Staffel war sogar schon fünf Monate vor ihrem Start komplett aufgenommen worden (s. Tab. 2). Ob dabei, wie George Perry behauptet(49), die besten Folgen an den Anfang und das Ende einer Staffel gesetzt wurden, kann daher nur für die dritte Staffel gelten. Die vierte und letzte Staffel wurde in der Reihenfolge gesendet, in der sie aufgenommen worden war; die erste und zweite startete im Verlauf der Produktion (vgl. Tab.2).
Die Folgen einer Staffel sind also beliebig vertauschbar und die Grundstruktur bleibt über die Grenzen und zeitlichen Abstände einer Staffel hinaus relativ konstant:
Es ist das Prinzip der Variety-Show, in der Verschiedenes oder Vermischtes angeboten wird. Basis sind Satiren über das Medium Fernsehen und Parodien von Fernsehsendungen. Von Anfang an war MP frei von Dogmen. Kein übergeordnetes Thema konnte die Sendungen vereinheitlichen, keine logische, zusammenhängende Handlung zwängte die Shows in dramaturgische Korsetts.
Eine Gesamtbetrachtung ergibt somit eine recht anarchistische Struktur, die ab der zweiten Staffel obligatorisch und ab der dritten Staffel zur Konvention wurde.
Diese Struktur wird von einem zunehmend assoziativen Handlungsstrang hervorgerufen ("stream of consciousness")(50), z.B. gewinnen Nebensächlichkeiten einer Szene oder Sequenz mit einem Mal an Bedeutung und bestimmen fortan den Verlauf bis sie selbst wieder verdrängt werden oder ein akustisches, optisches oder rhetorisches Motiv wird in der nächsten Sequenz wieder aufgenommen und stellt so, eine tendenziell künstliche, Verbindung her.
Nicht selten gibt es auch keine oder nur eine schwache Verbindung zwischen den Sketchen wie das Sequenzprotokoll der zweiten Folge (Tab. 3) zeigt. Die ersten fünf Sequenzen sind ohne jegliche Links aneinandergereiht (jump-cut). Lediglich die ihnen untergeordneten Subsequenzen haben inhaltliche oder strukturelle Verbindungen (match-cut)(51). Die Sequenzen 6-11 haben ebenfalls keine Gemeinsamkeiten, werden aber durch künstliche Links zusammengeheftet. So wird z.B. die letzte Einstellung einer Szene, die Königin Victoria als Stummfilmkomödiantin zeigt, eingefroren und zum nebensächlichen Fotostandbild im Interieur des nächsten Sketches (match-cut)(Sequenz 6).
Im weiteren Verlauf der Serie häufen sich die Links und werden vielseitiger. Sie werden aber nicht zwangsläufig verwendet, sondern deren zwangsläufige Verwendung parodiert. In der zweiten Sequenz der 33. Folge der dritten Staffel ("Salad Days") (Tab. 5) wird die wacklige Verbindung von Luftkriegsdokumentaraufnahmen aus dem ersten Weltkrieg mit einem diktierenden Offizier namens Biggles, der ein Geweih auf dem Kopf trägt, durch ein ‘Sound-Link’ gestärkt: Die Stimme Biggles’ ertönt schon während der Kampfszenen. In der fünften Sequenz werden gar zwei völlig von einander unabhängige Sketche durch zwei Establishing Shots derart miteinander verbunden, daß sie bei oberflächlicher bzw. einmaliger Betrachtung als zusammenhängend erscheinen. (vgl. Abschn. 4.1.2)
Beim zweiten Teil des Cartoons der Subsequenz 7.1. wird die Verbindung zum nächsten Sketch stark überhöht und als eigene Show der Programmaufsicht inszeniert. Diese "Link-show" ist so offensichtlich sinnlos wie die folgende TV-Sendung, "The Show so far", in der alle bisherigen Ereignisse dieser Folge bis zu dem Punkt ‘heruntergeleiert’ werden, an dem der Moderator mit einem Riesenhammer erschlagen wird.
Grundsätzlich bleibt die Sketchform dominierend. Bisweilen vereinen sich mehrere Sketche zu einer zusammenhängenden, längeren Geschichte. Der zweite Teil der Folge 7 ("You’re no fun anymore"), angekündigt als "Science-Fiction-Sketch"(52), besteht aus relativ losgelösten Subsequenzen, die aber zum Schluß alle in einem übergeordneten Sinnzusammenhang enden, d.h. eigentlich kann man im Falle außerirdischer Puddingwesen, die Wimbledon gewinnen wollen und deshalb alle Engländer in Schotten verwandeln, weil jene die schlechtesten Tennisspieler der Welt seien, dann aber von ihren Besitzern aus dem Andromedanebel aufgegessen werden, nicht von einem logischen Sinnzusammenhang sprechen.(53) Palmer hat die Logik des Absurden untersucht. Seine Theorie auf diesen Sketch angewandt, ergiebt folgende Schlußfiolgerung: a) Erster Sachverhalt: Puddingwesen bedrohen die Erde b) Zweiter Sachverhalt: Puddinge können gegessen werden c) Schlußfolgerung: Die Erde wird gerettet, indem die Puddinge aufgegessen werden. Dabei spielt die Absurdität der Existenz dieser Wesen keine Rolle, eine innere Logik und ein übergeordneter Sinnzusammenhang ist damit hergestellt.(54)
Erst in der 34. Folge ("The Cycling Tour")(55) wird wieder auf das Stilmittel einer längeren Narration zurückgegriffen. Diese Folge ist die einzige, die ausschließlich eine, wenn auch absurde, geschlossene Handlung wiedergibt.
Die meisten Folgen geben durch den Titel scheinbar ein Thema vor, und es hat den Eindruck, als würden sie mit besten Absichten auch diesem Thema folgen wollen, würden aber durch unvorhersehbare Vorkommnisse davon abgebracht, sodaß der Fortlauf der Sendung in alle möglichen Richtungen driftet und das ursprünglich angekündigte Thema nur bisweilen durch verbale, optische oder musikalische Reminiszenzen wieder in Erscheinung tritt.
Die Folgen 40 ("The Golden Age of Ballooning"), 41 ("Michael Ellis") und 44 ("Mr.Neutron") der vierten Staffel(56) und auch die Nr.37 aus der dritten ("Dennis Moore") bleiben dafür relativ eng bei einer vorgegebenen Rahmenhandlung, sind jedoch keinesfalls frei von Unterbrechungen, Einschüben und Abschweifungen.
Der ‘gute alte’ Sketch mit effektvoller "punch-line", mit dem alles begann, hatte also spätestens nach der ersten Staffel ausgedient und mußte dem abgebrochen oder dem eskalierten Sketch weichen (Abschn. 4.2.1). Die Komik ist zunehmend in den motivbildenden Stilmitteln und deren Kombination untereinander zu finden, immer weniger in einem abgeschlossenen, gespielten Witz.
Weil der strukturellen Auflösung innerhalb der einzelnen Sendungen Verbindungen zwischen den Folgen gegenüberstehen, kann meiner Meinung nach eine einzelne Folge nur bedingt isoliert betrachten werden. Ein Analyse, wie sie hier angestrebt ist, sollte sich auch deshalb auf das Gesamtwerk beziehen. Nicht nur weil dieses rein stilistisch eine geschlossene Einheit bildet, sondern auch weil inhaltliche, strukturelle und motivbildende Gemeinsamkeiten das einheitliche Bild ergänzen. Jeder Ausschnitt dieses Bildes ist daher unzweideutig als MP zu erkennen. Obwohl die Einzelstruktur der Folgen stark von einander abweicht, sind gerade die konstruierte Dekonstruktion und die Demontage von Sachzwänge, die Hauptmerkmale, dieser speziellen Ausprägung der TV-Comedy-Show.
Inhaltliche Gemeinsamkeiten, wie z.B. running gags, d.h. sich wiederholende komische, kurze Szenen oder Sätze, die - zur Farce geworden - gerade aus der Repetition an einer bestimmten Stelle ihren Witz ziehen, durchziehen nicht nur einzelne, sondern auch mehrere Folgen und stellen so ein weiteres übergeordnetes und damit strukturierendes Element dar. (vgl. Abschn. 4.2.4)
Der "It’s-man", der jede Folge ansagen möchte, aber immer nur bis "It’s" kommt und auch sonst nicht mit seinem ‘Robinson-Crusoe-Outfit’ dem Klischee eines Ansagers entspricht, erscheint in fast jeder Folge. Zunächst immer am Anfang, in späteren Folgen auch mal in der Mitte oder am Ende. Man kann sagen, er geistert verloren durch die wilde Traumlandschaft der Pythonschen Assoziationen und ist ihr vollkommen ausgeliefert. Er ist Sinnbild der anarchistischen, scheinbar unkontrollierten Grundstruktur. Ebenso tauchen der nackte Organist und die Ansage "And Now for Something Completely Different" immer wieder in unregelmäßigen Abständen und variierten Formen und Situationen auf und sind dadurch, wie der "It’s-man", zu Markenzeichen der Serie geworden.
Zudem lassen sich Schwerpunktthemen und die regelmäßige Verwendung markanter Charaktere ausmachen (Abschn. 3.1 u. 3.2):
Das dominierende Themenfeld der Film- und Fernsehwelt, von Produktion bis Rezeption, wird v.a. von den klassischen Sketchthemen Arztpraxis bzw. Hospital, Gericht und Militär flankiert, die wiederum mit den entsprechenden, immer wieder neu variierten Charakteren, wie dem skrupelosen Arzt, dem verrückten Psychiater, dem abschweifenden Rechtsanwalt, dem strengen Richter, dem kantigen Offizier oder dem dümmlichen Polizisten ausgebaut werden. Zu dieser Runde gesellen sich auch der verrückte Wissenschaftler und der sündige Geistliche, sowie ‘der’ "Pepperpot", ‘einer’ von vielen von MP neu geschaffenen Charakteren. Bei MP lassen sich daher diese ‘laufenden’ Charaktere in klassische und innovative, in Stereotypen und Unikate bzw. Kunstfiguren, differenzieren und deshalb tat ich dies auch hier (d.h. in den Abschn. 3.2.1 u. 3.2.2).
Der Jahrmarktstradition folgend wird immer wieder "The Man who..." präsentiert. Menschen mit scheinbar außergewöhnlichen Attributen oder Fähigkeiten parodieren die Sensationslüsternheit der Kommunikatoren und Rezipienten.
In allen Folgen sind die eingefügten Cartoons von Terry Gilliam (Abschn. 4.3) integraler Bestandteil: Meist haben sie keine oder nur eine kurze Handlung, sind stark assoziativ, sie verbinden und unterstützen oder unterbrechen die Sketche und Parodien. Der Vorspann-Cartoon mit der neu arrangierten Fassung des "Liberty Bell March" von John Philip Sousa präsentiert die Serie wie eine Jahrmarktsattraktion oder einer Variety-Show, bei der man auf alles gefaßt sein muß.
Der Cartoon endet mit einem "knockabout" oder einem Schlag auf den Kopf, dem vielleicht ursprünglichsten Mittel, andere zum Lachen zu bringen (Fields; s. Abschn. 3.4). Spätestens seit der Commedia Dell’Arte ist die Theaterwaffe des Harlekin, nämlich der Slapstick, wichtigstes Requisit zur Schikanisierung(57). (s. Abschn. 3.4.1)
Es ist bezeichnend, daß auf der einen Seite die ‘schlagenden Argumente’ immer mit gut erkennbaren Theaterwaffen ausgeführt werden. Vergleichbar dem Dekor oder der Kostümierung ist die Täuschung auch hier offensichtlich. Im Riesenhammer, der "The Show so far" beendet, kann man zwei Statisten erkennen, Studiokulissen werden als solche kenntlich gemacht usw. (58), so daß schon an den oberflächlichen Strukturen die Unwirklichkeit des Fernsehens deutlich wird (Abschn. 4.2.3).
Auf der anderen Seite werden filmtechnische Möglichkeiten geschickt genutzt und zugleich satirisch aufbereitet. (Abschn. 4.1)
Zusammenfassend ist festzustellen, daß die assoziative,
vom ‘stream of consciousness’ geformte Struktur über eine ganze Reihe von
Wahrnehmungsmustern erzeugt und transportiert wird. Das Medium, in dem sich
MP bewegt, ist Mittel zum Zweck und Hauptangriffspunkt zugleich.
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